Mittwoch, 17. Juni 2009

Was beweist Poppers Einsatz der Logik?

Die nicht beabsichtigten Folgen des Handelns zu studieren ist für die Sozialwissenschaften wichtig. Aus den egoistischen Handlungen des kapitalistischen Subjekts entstehen so ganz nebenbei und ohne jede Absicht positive Nebenwirkungen für das Allgemeinwohl; so Adam Smith (aber nicht nur positive). Und die Planer des Gemeinwohls oder entsprechender staatlicher Interventionen produzieren oft ganz anderes, als geplant war. Umso so schlimmer für die staatlichen Retter des Kapitalismus, denn sie befinden sich somit auf einer "mission impossible".

Poppers Plan aber war, Hegel zu erledigen. Die Art und Weise, wie er dabei vorgegangen ist, hat jedoch völlig unbeabsichtigt den schlimmsten Verdacht geweckt im Hinblick auf die Methode und das Wesen seiner Philosophie.(1) Wie Popper weiß, steht am Beginn eines jeden Widerlegungsversuchs die Rekonstruktion der Problemstellung und der Lösungsversuche des betreffenden Lösungsversuchs; peinlichst mit geeignet ausgewählten Textstellen belegt. Wenn jedoch der Text nicht verständlich erscheinen sollte, so muss man sich des objektiven Urteils darüber enthalten.

Wenn es jedoch in erster Linie darauf ankommt, einen Autor zu erledigen, ist solch mühseliges Beginnen keineswegs erforderlich, sondern eher kontraproduktiv. Man unterstellt ihm den größten Blödsinn, wofür man sich die Widerlegung dann fast ersparen kann. Und die meisten Leute, die sich dadurch ebenfalls dieser unsäglichen Mühe enthoben glauben, bedienen sich dann der popperschen Werke dankbar als Alibi-Zitate. Man zeigt, dass man 1. auf der Höhe der Wissenschaft (beglaubigt durch Popper) ist und 2. man glaubt sich der Mühe, der sich ja angeblich schon Popper unterzogen hat, völlig durch das Zitieren enthoben. Dass der Kritische Rationalismus (mit Ausnahme vielleicht von Helmut Spinner) auf dieses Thema nie wieder zurückgekommen ist oder etwa ausgebaut hat, spricht für sich. Das Thema (oder das Maximum an Kritik) ist für den Kritischen Rationalismus damit erschöpft.

Erst durch diese Interpretationsthese ist auch einzuordnen, dass obwohl Popper 1. seine Bestseller selber als unwissenschaftlich deklariert hat, sie 2. immer wieder als wissenschaftliche Belegstelle herangezogen werden. Popper hat sie in Folge auch in vielen Einzelpunkten bis zur Manie wissenschaftlich vertieft bzw. ausgeschmückt. Das spricht aber 1. für einen gewissen Nachholbedarf an wissenschaftlichem Niveau, 2. erweckt den Verdacht, dass in Einzelpunkten eine degenerative Problemverschiebung stattfindet, d.h. dass Popper ad hoc in Einzelpunkten seine Thesen differenziert oder zurücknimmt, seinen zuvor verkündeten Gesamtstandpunkt in diesen Dingen jedoch unrevidiert einfach so stehen lässt (man erinnere sich an die Exoterik und Esoterik bei Platon und Hegel!).

Die Strategie Poppers ist zu erklären aus der Zielsetzung seines Handelns: in Politik und Philosophie eine Hegemonialstellung zu erringen. Daraus erklärt sich, dass er so sensibel auf Hegels kurze Jahre als „preußischer Staatsphilosoph“ blickt. Popper schaffte es sogar zum „Sir“-Titel. Was soll da erst Ludwig Feuerbach dazu sagen, der in Bayern auf dem Dorf versauern musste, gleichsam im „inneren Exil“ in Bayern, nachdem er das bayrische Stipendium in Berlin an Hegel verschwendet hatte und nach Rückkehr nur noch gottlose Dinge von sich gab, er, der doch zu einem glühenden Theologiestudium bestimmt war… Und das sind noch die Österreicher und die Preußen. Popper war ein Wiener Würstchen. Hegel ein Schwabe, wie Berliner Studenten mit Grausen feststellen mussten. Doch seine Vorfahren waren Protestanten, die aus Glaubensgründen aus dem fein katholischen Kärnten ausgewandert waren. So stammte also, gegen jede Absicht, die bürokratische Entwicklungshilfe für Preußen aus Österreich – wie ja die Feuerbachs in Bayern „Reingeplackte“ waren.

Poppers Diskussion der Gesetze der historischen Entwicklung krankt nach ADDIS (1975:106) an zweierlei Dingen: (a) Er macht nicht klar, ob es solche Gesetze nicht gibt, oder ob wir diese nicht wissen können. (b) Er ist besessen von seinem Anliegen, zu „enthüllen“, was die wahre Aufgabe der Sozialwissenschaft sei.

Schlussendlich produziert POPPER (1987:XI) in seinem Vorwort zur englischen Ausgabe dasjenige, was er einen“ logischen Beweis“ aus „streng logischen Gründen“ nennt.

ADDIS (1975:107f) konstatiert recht verblüfft, dass überhaupt nicht zu erkennbar sei, was an diesem Beweis „logisch“ sei, da der Ausgangspunkt dieses Beweis ganz klar eine empirische Behauptung sei:
(1) „Der Ablauf der menschlichen Geschichte wird durch das Anwachsen des menschlichen Wissens stark beeinflußt.“

Anderswo tritt Popper als Fallibilist auf. Hier jedoch tritt er mit logischen Beweisen an, weil er auf der Suche nach Gewissheit ist, und wenn diese Gewissheit auch bloß negativ in einer „definitiven Widerlegung“ bestehen soll.

„Die Suche nach Gewißheit ist eine der gefährlichsten Irrtumsquellen, weil sie mit der Behauptung einer höheren Art von Erkenntnis verbunden ist. Die Gewißheit des logischen Beweises wird als die ideale Erkenntnis angesehen und die Forderung aufgestellt, daß alle Erkenntnis Methoden benutzen soll, die ebenso zuverlässig sind wie die Logik. Um zu sehen, wohin eine solche Auffassung führt, wollen wir uns das Wesen des logischen Beweises einmal näher ansehen.
Der logische Beweis wird mit Hilfe der Deduktion geführt. Man zieht einen Schluß, indem man die Schlußfolgerung aus anderen Aussagen, den Prämissen des Argumentes, ableitet. Das Argument ist so aufgebaut, daß, wenn die Prämissen wahr sind, die Schlußfolgerung auch wahr sein muß. (…)
Das Beispiel zeigt, daß Deduktion leer ist: die Schlußfolgerung kann nicht mehr aussagen, als schon in den Prämissen gesagt ist; sie drückt nur gewisse Folgen aus, die schon unausgesprochen in den Prämissen enthalten sind. Der Schluß packt sozusagen aus, was in den Prämissen noch eingepackt war.“ (REICHENBACH 1968:49)

Poppers Beweis "beweist" nur das, was er vorausgesetzt hat: eine empirische Aussage, die sich mangels präziser Ausdrucksweise empirisch kaum falsifizieren lässt.

Man muss aber hier grundsätzlich trennen zwischen dem, wass Popper tut, und dem, was er sagt, was er tut.
Er tut nichts anderes, als was Ricardo und Marx getan haben: aus empirischen Sätzen zu deduzieren.
Er sagt jedoch, dass er damit einen "logischen Beweis" abliefere.
Damit bewegt er sich immer noch auf der gleichen Schiene wie Platon, Kant und Hegel oder wie die Idealisten, Mathematik- und Logikfans und Sucher nach der absoluten Gewissheit alle heißen.
"Entgegen der traditionellen Erkenntnislehre, die es bis zu Kant, Hilbert und Dingler bei der Lösung des Erkenntnisproblems mit Möglichkeits- und Unmöglichkeitsbeweisen versucht hat - Kant zum Beispiel im Rahmen seines Programms der transzendentalen Deduktion der Kategorien mit seinen beiden zentralen 'Beweisen' von der Möglichkeit einer systematischen Erfahrungserkenntnis einerseits und von der Unmöglichkeit einer Erkenntnis jenseits der Grenzen möglicher Erfahrungserkenntnis andererseits -, scheint es ein allgemeines Charakteristikum grundlegender erkenntnistheoretischer Probleme zu sein, daß sie nicht durch (Wahrheits-, Notwendigkeits-, Möglichkeits- oder Unmöglichkeits)Beweise gelöst werden können, sondern erstens durch normative Grundsatz-Entscheidungen über Erkenntniskonzeptionen; verbunden mit dem hypothetischen Nachweis, zweitens, daß diese Beschlüsse hinsichtlich der damit akzeptierten Erkenntnisprogramme überhaupt realisierbar sowie für die Erreichung des postulierten Erkenntnisziels fruchtbar sind; und drittens, daß die dadurch erreichbaren Ziele unter Berücksichtigung der 'Kosten', also der in Kauf zun nehmenden Mittel und Nebenfolgen, auch erstrebenswert sind. Bei dieser programmatischen Entscheidungsproblematik (die als allgemeines Entscheidungsproblem den vielen speziellen Entscheidungsproblemen in der Wissenschaft vor- und übergelagert ist) geht es primär um die normative, beim Realisierbarkeits- und Fruchtbarkeitsproblem um die 'technologische', bei der 'Ertragskalkulation' neben gleichfalls 'technologischen' Erwägungen im Rahmen einer erkenntnistheoretischen Kosten-Nutzen-Analyse insbesondere auch um den moralischen, im engeren Sinne ethischen Aspekt der Erkenntnisproblematik." (SPINNER 1977:7)


(1) Angriff ist die beste Verteidigung (?!):
"Soweit eine ideologische Aussagesteuerung der von Geiger ins Auge gefaßten Art fatale Konsequenzen für den Erkenntnisprozeß haben kann, läßt sich das nur dadurch kompensieren, daß man die betreffenden Aussagen und Systeme so formuliert, daß sie dem Risiko des Scheiterns an den Tatsachen ausgesetzt sind, und sie strengen Prüfungsversuchen unterwirft, oder daß man sie auf andere Weise der kritischen Diskussion zugänglich macht." (ALBERT 1971:226)

"Darauf hat vor allem Karl Popper immer wieder hingewiesen, vgl. dazu seine oben erwähnten Arbeiten sowie seine Kritik der Wissenssoziologie in: The Open Society and its Enemies (1944), Princeton 1950, Kap. 23. In Deutschland pflegt man unter dem Einfluß einer systematisch sterilen hermeneutischen Philosophie dieses Buch vor allem danach zu beurteilen, ob darin Hegel richtig verstanden wurde, eine Tatsache, die auf die Befürworter solcher Standards ein bezeichnendes Licht wirft." (ALBERT 1971:226, Anm. 24)

Gewiss sollte man nicht Poppers philosophisches Programm nach seinem Hegelverständnis beurteilen. Die Beurteilung seiner Hegel-Kritik darf man aber schon davon abhängig machen!

==Literaturverzeichnis==

Laird Addis: The logic of society: a philosophical study. Minnesota Press, 1975. ISBN 0816607338, 9780816607334
Helmut F. Spinner: Begründung, Kritik und Rationalität. Bd. I. Vieweg Braunschweig 1977. ISBN 3-528-08376-X
Karl R. Popper: Das Elend des Historizismus. Tübingen 6. Aufl. 1987 (zuerst: 1957)
Hans Reichenbach: Der Aufstieg der wissenschaftlichen Philosophie. Friedrich Vieweg & Sohn Braunschweig 1968.
Hans Albert: THEORIE UND PRAXIS. Max Weber und das Problem der Wertfreiheit und der Rationalität. In: Hans Albert, Ernst Topitsch, (Hg.): Werturteilsstreit. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1971. ISBN 3-534-04161-5. S. 200-236 (Aus: Die Philosophie und die Wissenschaften. Simon Moser zum 65. Geburtstag. Anton Hain : Meisenheim 1966. S. 246-272)

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