Donnerstag, 11. Juni 2009

Wohin poppt der deutsche Kapitalismus?

Während uns wikipedia.de nach Gabler-Lexikon belehrt, dass Kapitalismus eine "Ordnung", also das Gegenteil von Unordnung sei (bzw. das einzige Unordentliche daran sei, dass dies unschuldige Wort in Deutschland einen negativen Wertakzent besitze), und die deutschen Ökonomen nach dem Motto: "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" abwarten, dass die Realität endlich mal wieder mit ihren Modellen einigermaßen übereinzustimmen vermöge - da kann man ja mal auf den Gedanken kommen, nachzusehen, was sich zum Thema "krisenhafte Entwicklung des Kapitalismus" bei den angestellten Kapitalismusforschern so getan hat. Sie haben Deutschland und Japan miteinander verglichen und herausgefunden, dass sie so auf ganz andere und je besondere Art kapitalistisch wären als die USA.

In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts befanden sich Deutschland und Japan im wirtschaftlichen Aufwind, während Großbritannien und die USA zusehends in der wirtschaftlichen Entwicklung an Fahrt verloren. Nach 1995 kehrte sich die Reihenfolge um. In der Sozialwissenschaft wurden Ansätze gesucht, die divergierende Wirtschaftsentwicklung zu erklären. Dazu wurden die Unterschiede in den einzelnen Kapitalismusmodellen betrachtet. Großbritannien und insbesondere die USA gelten als Standardmodell des "liberalen Kapitalismus"; Japan und Deutschland abweichend davon als "nicht liberaler Kapitalismus". Man bezieht sich hierbei auf die institutionelle Einbettung oder das Ausmaß der Regulierung von Markttransaktionen. Von "Einbettung" wird gesprochen, wenn Markttransaktionen nicht ökonomischen Zwecken dienen oder durch nicht ökonomische soziale Bindungen unterstützt werden (STREECK 2001).

So verwies ALBERT (1993) auf das Modell des rheinischen Kapitalismus, welcher die Fähigkeit besitze, soziale Bindungen zu mobilisieren, eine Nicht-Wettbewerbs-Kooperation zusammen mit kollektiven Verpflichtungen zu erreichen. Im Gegensatz zum individualistischen Konkurrenzkapitalismus, der hohe Transaktionskosten mit sich bringt, weil die moralische Infrastruktur erodiert. Die Kontrolle von Märkten sei schon aus Effizienzgründen gefordert, weil sie unkontrolliert zu hohe Kosten verursachten (''economies of cooperation'': Good Will, x-Effizienz (LEIBENSTEIN 1976). AOKI (1994) hob für Japan und Deutschland die relativ große Bedeutung der Langzeitbeschäftigung und von "geduldigem Kapital" hervor, einher gingen damit eine verminderte Zirkulationsgeschwindigkeit von Kapital und Arbeit sowie eine geringere Rate des Ausscheidens von Unternehmen aus dem Wettbewerb. Dies habe damit zu tun, welche Nische auf dem Weltmarkt von den jeweiligen Volkswirtschaften erobert wurde: Japan die flexible Massenproduktion; Deutschland die diversifizierte Qualitätsproduktion.

STREECK/YAMAMURA (2001) geht dann folgenden Fragen nach:
Wie und warum ist nicht liberaler Kapitalismus entstanden?
Welche Modellunterschiede gibt es zwischen Deutschland und Japan, wie hoch ist die Variabilität, welches Repertoire an Möglichkeiten besitzt ein jedes?
Wie hoch ist die innere Kohärenz der Systemelemente?

Das zur Analyse verwendete Modell institutionellen Wandels geht davon aus: Wandel ist zum Teil kontinuierlich und pfadabhängig, zu bestimmten Zeitpunkten durch exogene (mehr oder minder) zufällige Schocks verursacht (STREECK 2001:8; HOLLINGSWORTH 1967:267). Die Wirtschaftsgeschichte (DAVID 1985; NORTH 1990:100) stellt hierzu fest: ''History matters!'' Die sog. "Lock-in"-Effekte von einmal implementierten Entscheidungen reduzieren den Optionsraum für Alternativen in der darauffolgenden Zukunft.

Nach der Analyse von LEHMBRUCH (2001) unterhalten Gesellschaften meist mehrere einander widersprechende Diskurse, von denen ein jeder nach Hegemonie strebt. Nachdem ein Diskurs vorherrschend geworden ist, werden seiner Logik entsprechend Institutionen geschaffen, die institutionelle Alternativen ausschließen und im Krisenfall Lösungsmöglichkeiten aus dem Bereich des vorherrschenden Diskurses denkbar erscheinen lassen, normativ legitimieren und technisch durchführbar machen.

Die theoretische Analyse von Struktur vs. Akteur wird von WEIK (2006) auf Giddens und Bourdieu zurückgeführt.

== Literaturverzeichnis ==

Wolfgang Streeck, Kozo Yamamura: The Origins of Nonliberal Capitalism. Germany and Japan in Comparison. Cornell University Press : Ithaca and London 2001. ISBN 0-8014-3917-5.

Masahiko Aoki: The Japanese Firm as a System of Attributes. In: Masahiko Aoki, Ronald Dore, (Hg.): The Japanese Firm: Sources of Competitive Strength. Oxford University Press 1994.

Wolfgang Streeck: Introduction: Explorations into the Origins of Nonliberal Capitalism in Germany and Japan. S. 1 ff. In: Wolfgang Streeck, Kozo Yamamura: The Origins of Nonliberal Capitalism. Germany and Japan in Comparison. Cornell University Press : Ithaca and London 2001. ISBN 0-8014-3917-5.

Michel Albert: Capitalism vs. Capitalism: How America's Obsession with Individual Achievement and Short-Term Profit Has Led It to the Brink of Collapse. New York : Four Walls Eight Windows.

J. Rogers Hollingsworth: Continuities and Changes in Social Systems of Productions: The Cases of Japan, Germany, and the United States. In: J. Rogers Hollingsworth, Robert Boyer, (Hg.): Contemporary Capitalism: The Embeddedness of Institutions. Cambridge University Press 1997.

Harvey Leibenstein: Beyond Economic Man: A New Foundation for Microeconomics. Harvard University Press : Cambridge, Mass. 1976

Paul A. David: Clio and the Economics of QWERTY. American Economic Review 1985. Papers and Proceedings 75:332-37.

Douglass C. North: Institutions, Institutional Change, and Economic Performance. Cambridge University Press 1990.

Gerhard Lehmbruch: The Institutional Embedding of Market Economies: The German 'Model' and its Impact on Japan. In: Wolfgang Streeck, Kozo Yamamura, (Hg.): The Origins of Nonliberal Capitalism. Germany and Japan in Comparison. Cornell University Press : Ithaca and London 2001. ISBN 0-8014-3917-5. S. 39 ff.

Elke Weik: WORKING RELATIONSHIPS. A META-VIEW ON STRUCTURE AND AGENCY Theory & Science (2006). ISSN: 1527-5558

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