Donnerstag, 25. Juni 2009

Arbeit: Marx vs. Habermas

"Arbeit" bezieht Marx sowohl auf das Verhältnis Mensch - Natur: biologische Reproduktion menschichen Lebens als auch auf das Verhältnis Mensch - Mensch: spontane und bewusste Koordination individuellen handelns innerhalb der menschlichen Gattung.
"Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit. Wir haben es hier nicht mit den ersten tierartig instinktmäßigen Formen der Arbeit zu tun. Dem Zustand, worin der Arbeiter als Verkäufer seiner eignen Arbeitskraft auf dem Warenmarkt auftritt, ist in urzeitlichen Hintergrund der Zustand entrückt, worin die menschliche Arbeit ihre erste instinktartige Form noch nicht abgestreift hatte. Wir unterstellen die Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen ausschließlich angehört. Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht daß er nur eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt; er verwirklicht im Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Weise seines Tuns als Gesetz bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen muß. Und diese Unterordnung ist kein vereinzelter Akt. Außer der Anstrengung der Organe, die arbeiten, ist der zweckmäßige Wille, der sich als Aufmerksamkeit äußert, für die ganze Dauer der Arbeit erheischt, und um so mehr, je weniger sie durch den eignen Inhalt und die Art und Weise ihrer Ausführung den Arbeiter mit sich fortreißt, je weniger er sie daher als Spiel seiner eignen körperlichen und geistigen Kräfte genießt.
Die einfachen Momente des Arbeitsprozesses sind die zweckmäßige Tätigkeit oder die Arbeit selbst, ihr Gegenstand und ihr Mittel." (MEW 23:192f)


HABERMAS (1975:58f) indessen verkürzt "Arbeit" auf "instrumentales Handeln" und stellt dieser dann "Interaktion" und "Kommunikation" zur Seite.
"Der materialistische Begriff einer Synthesis durch gesellschaftliche Arbeit bezeichnet die Stellung, die Marxens Konzeption der Gattungsgeschichte in der von Kant ausgehenden Bewegung des Gedankens systematisch einnimmt. In einer eigentümlichen durch Fichte bestimmten Wendung nimmt Matx die Intention des Hegelschen Einwandes am kantischen Ansatz der Erkenntniskritik auf; dabei ist er gegen eine Identitätsphilosophie gefeit, die der Erkenntnistheorie als solcher den Boden entzieht. Gleichwohl erweist sich die philosophische Grundlage dieses Materialsmus als ungenügend, um eine vorbehaltlose phänomenologische Selbstreflexion der Erkenntnis zu etablieren und so der positivistischen Verkümmerung der Erkenntnistheorie vorzubeugen. Den Grund dafür sehe ich, immanent betrachtet, in der Reduktion des Selbsterzeugungsaktes der Menschengattung auf Arbeit. Die Marxsche Gesellschaftstheorie nimmt in ihren Ansatz neben den Produktivkräften, in denen sich das instrumentale Handeln sedimentiert, auch den institutionellen Rahmen auf, die Produktionsverhältnisse; sie unterschlägt an Praxis nicht den Zusammenhang symbolisch vermittelter Interaktion und die Rolle kultureller Überlieferung, aus denen Herrschaft und Ideologie allein zu begreifen sind. Aber in das philosophische Bezugssystem geht diese Seite der Praxis nicht ein. Gerade in dieser Dimension, die sich mit den Abmessungen instrumentalen Handelns nicht deckt, bewegt sich aber die phänomenologische Erfahrung - in ihr treten die Gestalten des erscheinenden Bewußtseins auf, die Marx Ideologien nennt; in ihr lösen sich Verdinglichungen unter der lautlosen Gewalt einer Reflexion auf, welcher Marx den Kantischen Namen der Kritik zurückgibt.
So entsteht im Werke von Marx ein eigentümliches Mißverhältnis zwischen der Forschungspraxis und dem eingeschränkten philosophischen Selbstverstädnis dieser Forschung. In seinen inhaltlichen Analysen begreift Marx die Gattungsgeschichte unter Kategorien der materiellen Tätigkeit und der kritischen Aufhebung von Ideologien, des instrumentalen Handelns und der umwälzenden Praxis, der Arbeit und der Reflexion in einem; aber Marx interpretiert, was er tut, in dem beschränkten Konzept einer Selbstkonstitution der Gattung allein durch Arbeit. Der materialistische Begriff der synthesis ist nicht weit genug gefaßt, um die Hinsicht zu exdplizieren, in der Marx der Intention einer im wohlverstandenen Sinne radikalisierten Erkenntniskritik entgegenkommt. Ja, er hat Marx selbst daran gehindert, seine Verfahrensweise unter diesem Gesichtspunkt zu verstehen."

In ähnlicher Weise hat ISRAEL (1980) die Einteilung vorgenommen in
(1) Economische instituties en processen;
(2) Macht;
(3) Taal en communicatie.

Hierbei geht indes die Pointe des marxschen Ansatzes verloren. Marx setzt eben nicht "Arbeit" gleich "zweckrationales Handeln", womit Habermas Max Weber auf den Leim gegangen ist. Für Marx kann Arbeit=zweckrationales Handeln nicht gleichrangig soziale Interaktion, Kommunikation und Macht nebeneinander gestellt werden (MÜLLER 1969; DAMUS (1970).

Marx betrachtet "Arbeit" vielmehr als ein Handlungssystem, das alle diese Aspekte übergreifend in sich fasst.

Die Kritik von Habermas an Marx, dem Marxschen Arbeitsbegriff gingen daher bewusstseinsmäßige Aspekte ab, ist seiner eigenen beschränkten Marx-Lektüre zuzuschreiben.

HABERMAS (1975:381) sagt schließlich in einem Nachwort, er könne mit der Kritik, dass er Marx nicht richtig interpretiert habe, im Hinblick auf sein Erkenntnisziel nichts anfangen. Diese Klarstellung wäre freilich etwas früher erfolgt günstiger aufgenommen worden. Es wäre stattdessen empfehlenswert, daß jeder Autor 1. vorher sagt, was er will, und 2. sodann das tut, was er gesagt hat.

Wenn aber Habermas seine Erkenntnistheorie unter die Zielsetzung Letztbegründung stellt, dann hat dies mit dem Marxschen Philosophieverständnis nichts zu schaffen. Man darf gewiss davon ausgehen, dass für Marx Dialektik kein Instrument für philosophische Begründungen abgeben kann oder soll. Insofern wirft Habermas Beschränktheiten vor, welche Marx im Hinblick auf seine eigene Problemstellung als abwegig zurückweisen muss.

"Eine Soziologie, die sich in die Sache verliert, ist genau so auf einem Abweg wie diejenige, die vor Selbstreflexion nicht zur Sache kommt." (SCHELSKY 1967:8)


== Literaturverzeichnis ==
Karl Marx: Das Kapital, S. 260-262. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 3569-3571 (vgl. MEW Bd. 23, S. 192-193)
Jürgen Habermas: Theorie und Praxis. Mit einem neuen Nachwort. Sozialphilosophische Studien, Neuwied Berlin 1963.
Wolfgang Müller: Habermas und die Anwendbarkeit der Arbeitswerttheorie, Sozialistische Politik, 1, 1, 1969, S.39-53
Renate Damus: Ökonomische Kategorien in der Soziologie der Frankfurter Schule, (hektgr.) Karlsruhe 1970
Joachim Israel: Sociaal Handelen en sociaal system. Rotterdam 1980
Helmut Schelsky: Ortbestimmung der deutschen Soziologie. 3. Aufl. Düsseldorf Köln 1967

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