Freitag, 9. Januar 2009

Marxismus

Herz-Jesu-Marxismus hat es schon vor Marx gegeben (vgl. zum Beispiel das Zirkular gegen Kriege, MEW 4, 3 ff.). Kommunismus als Gefühlsduselei, wogegen auch Proudhon Abneigung bewies:

Au lieu de chercher la justice dans le rapport des faits, ils la prennent dans leur sensibilité; appelant justice tout ce qui leur paraît être amour du prochain, et confondant sans cesse les choses de la raison avec celles du sentiment.

Pierre-Joseph Proudhon: Système des contradictions économiques, ou philosophie de la misère, Oeuvres Complètes, Bd. I, hrg. von C. Bouglé et H. Moysset, Genf Paris 1982, S. 257

Wer Marxismus wg. des Gebrauchs von Kollektivbegriffen Holismus vorwirft, müsste konsequent sein und auf den Begriff "Marxismus" überhaupt verzichten; er müsste sich darauf beschränken, von "Marxisten" zu schwätzen. "Wir können immer nur Einzelne sagen," so Ludwig von Mieses (Nationalökonomie, Genf 1. Aufl. 1940, S. 34)"auch wenn sie es im Chor sagen, bleibt es doch Aussage von Einzelnen." "Marxismus" können immer nur Einzelne sagen; auch wenn Marxisten als Chor auftreten, so bleiben sie doch höchstens nur Marxisten! Für die Gegner des Marxismus (zumindest die konsequenten Nominalisten) hat dies indes zur Unbequemlichkeit, dass sie den Marxismus nicht widerlegen können (da er als ein Ding der Unmöglichkeit überhaupt nicht existent ist), sondern wenn überhaupt, dann nur einzelne Marxisten bzw. genauer: deren Verlautbarungen.

Die produktivste Interpretation des Popperschen Ansatzes ist wohl diejenige im Sinne einer psychologischen Theorie des Lernens (John R. Wettersten, The Roots of Critical Rationalism, Amsterdam Atlanta, GA 1992) aus Problemen und gescheiterten Hypothesen, Versuch und Irrtum. Leider, muss man wohl sagen, hatte sich Popper im Laufe seiner Karriere darauf versteift, eine Methodologie zu begründen, und hingegen nicht empirische Wissenschaft zu betreiben.

Durchaus sinnvoll ist auch, Wissenschaften durch ihre spezifischen Problemstellungen zu definieren. Leider ist Popper in seinen Kampfschriften zur bzw. gegen Sozialphilosophie nicht selber seiner eigenen hochlöblichen Maxime gefolgt, jeden Autor nach seinen Problemen zu befragen, die dieser sich stellte; und ggf. diese Problemstellungen und Lösungsversuche in ihrer bestmöglichen Fassung zu rekonstruieren.

Aber lassen wir das hier. Bezogen auf das Thema "Marxismus" ergibt sich bei einem solchen Definitionsansatz jedoch, dass derjenige ein "Marxist" genannt werden sollte, der sich mit den von Marx gestellten Problemen wissenschaftlich beschäftigt. Dann wären nicht nur die zahllosen Autoren, die Marx kritisierte, nicht bloß "Opfer" von Marx, sondern Teil des Marxismus (was manchmal leider selbst Marxisten gerne übersehen. Wer von ihnen hat schon selber bei Dühring nachgelesen?!) Dann wären auch Leute wie Joan Robinson (An Essay on Marxian Economics, London Basingstoke 2nd ed. 1966) und Popper selber Marxisten, nur deshalb weil sie sich wissenschaftlich mit Marx (und vielleicht auch mit dessen Problemen) abgegeben haben. Spiel nicht mit den Schmuddelkinder! Sing nicht ihre Lieder! Manche Wissenschaftskollegen haben die Gefahr besser erkannt und beschränken sich hier lieber auf ausdrückliches Ignorieren. Wovon man nicht reden kann, muss man schweigen! Leider von Popper gegenüber Hegel unberücksichtigte Regel.

Wer Marxismus für eine geschlossene Weltanschauung hält und ein konsistentes Theoriegebäude, müsste schon daran verzweifeln, zu welchem historischen Zeitpunkt bzw. in welcher historischen Version der Marxismus authentisch vollendet gewesen sein soll. Denn Marx hat sich unaufhörlich mit unterschiedlichen Teilproblemen beschäftigt und war selten in der Verlegenheit, eine vollständige Theorie ex cathedra zu verkündigen. Er hat auch aus seinen eigenen Lernprozessen nie einen Hehl gemacht.

Eigentlich kann man ja auch Popper nicht vorwerfen, dass er seine kritischen Resultate nicht schon zu Beginn seiner Kritik hatte.
Aber es fehlt auch sein Eingeständnis, dass er zu Anfang seine Ergebnisse noch nicht alle gehabt hatte; es fehlt das Eingeständnis des eigenen Lernprozesses.
Somit werden oft kritische Argumente, die am Anfang gewonnen wurden, beibehalten, obwohl deren Geltungsvoraussetzungen bzw. Annahmen mittlerweile von Popper längst aufgegeben worden sind.

So ist das Abgrenzungsproblem eigentlich nur ideologisch motiviert zu verstehen. Ursprünglich dient es zur Definition des Begriffs der empirischen Wissenschaft. Hernach wird es zu einer Methodologie. Nach derselben kann jedoch immer erst hernach geprüft werden, was wissenschaftlich brauchbar ist (ähnlich wie bei Brainstorming). Die vorherige Abgrenzung von empirischen Sätzen hat also forschungspraktisch wenig Sinn, weil sie zu jedem Augenblick wieder aufgehoben oder verschoben werden muss.

Was bleibt ist die rhetorische Möglichkeit, ideologische Attacken gegen Pseudowissenschaften zu reiten. Da es letztlich jedoch von dem Umgang mit Behauptungen abhängt, ob eine Theorie wissenschaftlich oder Hokuspokus ist, nützt auch diese Polemik dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn sehr wenig. Es verbleibt jedoch der fragwürdige Nutzen als Waffenarsenal im Kampf um akademische Posten oder um die Vorherrschaft wissenschaftlicher Schulmeinungen in der öffentlichen Meinung.

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