Mittwoch, 4. Mai 2011

Saysches Theorem




Jean Baptiste Say schrieb 1803:
„Wenn der Produzent die Arbeit an seinem Produkt beendet hat, ist er höchst bestrebt es sofort zu verkaufen, damit der Produktwert nicht sinkt. Nicht weniger bestrebt ist er, das daraus eingesetzte Geld zu verwenden, denn dessen Wert sinkt möglicherweise ebenfalls. Da die einzige Einsatzmöglichkeit für das Geld der Kauf anderer Produkte ist, öffnen die Umstände der Erschaffung eines Produktes einen Weg für andere Produkte.“ (1)
Oder in der Formulierung von James Mill: Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage selbst. (2)

In der Sichtweise des Sayschen Theorems wird also nur der Austausch von Waren (also die sog. „realwirtschaftliche“ Seite) gesehen; die Dazwischenkunft von Geld im Warenaustausch wird als bloße Verhüllung der realwirtschaftlichen Beziehungen, als sog. „Geldschleier“ angenommen. Hinter dem Sayschen Theorem verbirgt sich demnach die These der Neutralität des Geldes. (3)

Karl Marx setzt sich im Zuge der Durcharbeitung der Theorie von David Ricardo auch mit dem Sayschen Theorem auseinander und bemängelt, dass Say seine Modellvoraussetzungen so gewählt habe, dass Krisen logisch unmöglich seien. (4) Er kritisierte des Weiteren, dass Say das Kapitalverhältnis bloß als Naturaltauschverhältnis deutet und damit die inneren Widersprüche der kapitalmäßigen Verwertungsprozesse bei Überproduktion ignoriere. Marx zählte Says Ansatz gerade deswegen zur Vulgärökonomie.

Hingegen lobte Marx Ricardo für seine wissenschaftliche Objektivität in dessen nachgeschaltetem Kapitel über das Maschinenwesen. Marx übersah dabei nach Ansicht von Michio Morishima folgende Inkonsistenz: Ricardos Theorie insgesamt unterstelle das Saysche Theorem. Danach sei Arbeitslosigkeit auch bei Neueinführung von Maschinen theoretisch ausgeschlossen.(5) Warum kann jedoch nicht einfach der Fall sein, dass Marx es lieber gewesen war, dass Ricardo in seinen Schlussfolgerungen seiner Theorie entgegenstehende Tatsachen letztendlich anerkannt hatte, auch wenn Ricardo damit seinen Grundannahmen nicht mehr treu blieb.

Keynes hat das Saysche Axiom und die damit verbundene These der Neutralität des Geldes abgelehnt und einen eigenen geldtheoretischen Ansatz entwickelt. Der „Bastard-Keynesianismus“ hat darauf jedoch seinen Keynes missdeutet, insbesondere seine Kritik der Grundlagen der klassischen Ökonomie, und ist mehr oder minder offen wieder bei den Axiomen der klassischen Ökonomie angelangt oder hat sie nie verlassen. (6)

Keynes selbst jedoch hat anscheinend die Marxsche Kritik an Ricardo nicht gekannt oder verstanden. Denn er glaubte anscheinend, dass seine Kritik der Klassik auch die angeblichen Ricardianischen Grundlagen der Marxschen Theorie hinwegfegen würde. (7)

Noch heute ist Marxens Kritik an der Vulgärökonomie, respektive Say, scheinbar nicht durchgedrungen, bzw. nicht allgemein bekannt. Im „Elend der Philosophie“ konnte sich Marx noch weitgehend darauf beschränken, gegenüber den Verdrehungen und Konfusionen Proudhonscher Phrasendrescherei das Hegelsche und Ricardosche Original zur Geltung zu bringen. Dass Marx hernach seinerseits an Hegel ebenso wie auch an Ricardo Kritik geübt und deren Theorien und Methoden kritisch rezipiert hat, ist demgegenüber immer noch nicht von Autoren, die sich zu diesem Thema äußern, richtig erfasst. (8)

Das Saysche Gesetz oder Theorem ist genau gesagt kein Axiom einer ökonomischen Theorie, sondern ein Dogma. Nach Hilbert ist „Axiom“ eine Voraussetzung eines deduktiv abgeleiteten Systems von Sätzen, die innerhalb dieses Systems selbst nicht abgeleitet ist. Somit ist jedes Axiom unbegründet (genauer: relativ zum System, zu dem es benutzt wird). Das Saysche Theorem ist aber nicht bloß in diesem relativ harmlosen Sinn unbegründet, sondern es wird von Vulgärökonomen wie eine selbst-evidente Wahrheit verwendet, um daraus kontra-faktische Behauptungen über die ökonomische Wirklichkeit abzuleiten. Dahinter darf man mit Marx ein apologetisches Interesse vermuten, das harmonische Wirken des Marktes als ökonomische Grundwahrheit zu behaupten.

Wenn also jemand arbeitslos wird, dann könne es dieser Weltanschauung nach nicht am Marktmechanismus liegen, sondern am einzelnen Lohnabhängigen, dessen Leistung nicht marktgerecht angeboten werde, und/oder am Intervenieren des Staates und der Gewerkschaften (Arbeitsrecht, Sozialrecht usw.), die zu „Rigiditäten“ am Markte führten und damit dessen effiziente Selbstregulation behinderten. Ein Ökonom, der diese Konsequenzen nicht aufgeben möchte, wird nicht bereit sein, die logischen Voraussetzungen für diese Konsequenzen aufzugeben, wenn sie auch noch so weltfremd sein mögen.

Es kann sich also hier nicht darum drehen, das Saysche Theorem zu „widerlegen“, sondern nichts weiter als darum, Dogmatiker mit Ökonomenstatus zu bewegen, sich als Wissenschaftler und nicht als Ideologen zu betragen.

(1) Jean Baptiste Say: A treatise on political economy: or The production distribution and consumption of wealth. Translated from the fourth edition of the French. Batoche Books Kitchener 2001, S. 57.
(2) Paul Davidson: Financial Markets, Money and the Real World. Edward Elgar, Cheltenham UK / Northampton, MA, USA, 2002. ISBN 1-84064-740-X. S. 18f.
(3) “Under Say’s Law, goods always exchange for goods. Money is only a ‘veil’ behind which the real economy operates unhampered by financial considerations. The notion that money is merely used as an intermediary in the exchange of goods for goods is encompassed, in the lexicon of economists, by the classical neutral money axiom. If money is neutral, then there is no inherent obstacle in a competitive economic system to prevent output and employment from being at the maximum flow possible given the size of the population and the technology available to producers.” (Paul Davidson: Financial Markets, Money and the Real World. Edward Elgar, Cheltenham UK / Northampton, MA, USA, 2002. ISBN 1-84064-740-X. S. 19f.)
(4) Karl Marx: Theorien über den Mehrwert. Bd. II, MEW 26.2. S. 495ff.
(5) Michio Morishima: Ricardo's Economics. A general equilibrium theory of distribution and growth. Cambridge University Press 1989. ISBN 0-521-36630-5. S. 11.
(6) Paul Davidson: Financial Markets, Money and the Real World. Edward Elgar, Cheltenham UK / Northampton, MA, USA, 2002. ISBN 1-84064-740-X.
(7) „When my new theory has been duly assimilated and mixed with politics and feelings and passions, I cannot predict what the final upshot will be in its effect on actions and affairs, but there will be a great change and in particular the Ricardian Foundations of Marxism will be knocked away.” (J. M. Keynes, The Collected Writings. Bd. 13, 1973, S. 492-3, zit. nach Davidson, S. 4.)
(8) „Proudhons Ansatz, die ‚Macht des Geldes‘ als Quelle der Ausbeutung zu benennen, war für Marx und Engels nicht nachvollziehbar: in der klassischen Lehre verhaftet, war der monetäre Sektor für sie ökonomisch blutleer, nur als juristische Konstruktion begreifbar. Die Rendite des Realkapitals (Mehrwert) entsteht nach Proudhon aus dem mittelbaren Wirken des Geld- und Kapitalmarktes, wobei es die Zwänge des monetären Systems sind, die den Standard für den ‚internen Zinsfuß‘ des Realkapitals festlegen. Geht man in der Geschichte des Sozialismus weiter, wird man auf das Werk Rudolf Hilferdings (1877-1941) „Das Finanzkapital“ (Wien 1910) stoßen. Mit Marx’schen Grundtermini durchaus auf einer Linie definierte Hilferding das Finanzkapital als ‚Kapital in der Verfügung der Banken und in der Verwendung der Industriellen‘. Die Denkergebnisse Hilferdings waren natürlich nicht deckungsgleich mit jenen Proudhons, angezeigt war aber damit, daß auch im Lager des Marxismus ein Festhalten man der ‚klassischen Dichotomie‘ (das ist die Vorstellung einer strikten Trennung der Wirtschaft in einen realwirtschaftlichen Sektor und in den geldsektor) nicht durchhaltbar gewesen ist.“ (Pierre-Joseph Proudhon und die moderne Nationalökonomie. In: Pierre-Joseph Proudhon : System der ökonomischen Widersprüche oder: Philosophie des Elends. Hrg. Lutz Roemheld, Gerhard Senft. Karin Kramer Verlag Berlin 1. Aufl. 2003.ISBN 3-87956-281-4. S. 17.)

Versuch und Irrtum. Poppers Lerntheorie

Montag, 2. Mai 2011