Sonntag, 27. Februar 2011

Irland: Anatomie eines toten Tigers

Die Heritage Foundation erklärte Irland noch 2008 nach Hongkong und Singapur zum wirtschaftlich freiesten Land. Heute beträgt der Schuldenstand 130% des Bruttosozialprodukts. Die Zinsen für das 130 Milliarden Dollar Rettungspaket werden über Jahre hinaus das Land mit rund jährlich 7% des Nationaleinkommens belasten. Soviel zur Aussagekraft der Benchmarking-Indexes der sog. "Wettbewerbsfähigkeit".

Die durch die Wahlen aus dem Amt geflogene Regierung hat den Staatshaushalt um 18 % des Bruttoszialprodukts kürzen wollen. Durch eine "nachhaltige" Stagnationspolitik sollte aufgefangen werden, dass die Regierung die insolventen Banken des Landes gerettet hat, ohne deren Schuldner zu beteiligen.

Es hat sich gezeigt, dass mit neoliberaler Finanzialisierung auf Dauer kein Blumentopf zu gewinnen ist. Das Modell "Steueroase" ist eben nicht auf Nachhaltigkeit angelegt, so wenig wie es ein militärischer Eroberungskrieg ist.

Quelle:
Death of the Celtic Tiger: A Cautionary Irish Tale
Bruce Campbell Lawrence Mishel
February 16, 2011.

Luiz Carlos Bresser-Pereira: The Global Financial Crisis and a New Capitalism? Levy Economics Institute Working Paper No. 592. Mai 2010.

Mittwoch, 16. Februar 2011

Bewusstlose Krise?

"Nous approchons de l'état de crise et du siècle des révolutions."

Schrieb Rousseau in seinem Émile. Mit der Anmerkung, dass alle großen Monarchien in Europa ihre Glanzzeit gehabt hätten, und sich damit auf dem Weg des Niedergangs befänden.

Es ist kennzeichnend für die offizielle Sozialwissenschaften wie für die westlichen Nachrichtendienste, dass sie jedes Mal von einer Revolution überrascht werden, sofern sie nicht von ihnen selbst fabriziert worden ist. Sie sind denn auch eher an der Wahrung der Stabilität des Status quo interessiert, Menschenrecht hin oder her. Wie auch Karl Popper wie schon Eduard Bernstein grundsätzlich den Weg des piecemeal engineering und jede Revolution als Utopie abgelehnt hatten. Die Herstellung der neoliberalen Utopie einer marktfundamentalen Gesellschaft, die sich an der Utopie des historisch zeitlosen neoklassischen Modells orientiert, wird hingegen als Sachnotwendigkeit (Globalismus) hingestellt und als "Transformation" hin zur natürlichen Harmonie gesellschaftlicher Interessen stilisiert.

"Am vergangenen Freitag wurde in der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Studie vorgestellt, die erstmals seit 15 Jahren wieder die Frage von Krisenbewußtsein in den Belegschaften und den Konsequenzen für die gewerkschaftliche Interessenvertretung aufwirft."

Lutz Brangsch: Krise ohne Konflikt?

26 Ramses Street, Cairo

Binnen kürzester Zeit war es Ägyptens Machthabern gelungen, dies Land vom internationalen Internet abzuschneiden.

James Glanz, John Markoff: Egypt Leaders Found ‘Off’ Switch for Internet. The New York Times, 15. Februar 2011.

Die Frage, wie das geschehen konnte, ist gewiss äußerst spannend für Internettechnologie-Freaks und für Kommunikationspolitiker, die sich für Gate-Keeper interessieren.

Dieses Ereignis ist aber auch von metaphysischem Interesse. Im Gefolge des Internet-Hypes kam eine ganze Literatur-Folklore zum Vorschein, die das Internet im Sinne eines objektiven Idealismus als ein autonomes System interpretierte.

Wie wäre aber dieses Ereignis auf dem Hintergrund einer derartigen Metaphysik zu erklären?!

Karl Popper war wie Friedrich Engels davon überzeugt, dass die Entscheidung über metaphysische Fragen wissenschaftlich begründet nicht getroffen werden kann und letztlich offen bleiben muss.

Ich meine aber, dass das genannte historische Ereignis sehr viel zwangloser auf Grundlage einer "materialistischen Geschichtsauffassung" als denn auf derjenigen der bis zuletzt Mode gewesenen Internetphilosophie interpretiert werden kann.

Die Globalisierung per Internet hatte in diesem Falle eine eindeutige lokale Adresse. 26 Ramses Street, Cairo, im Gebäude der ägyptischen Postverwaltung, wurde das Internet für Ägypten ausgeschaltet. Hier verwirklichte sich die Fleischwerdung des politischen Wortes.